Gottesdienst und Podiumsgespräch zum Internationalen Roma-Tag

NS-Opfer-Gedenken und Gespräch mit Sinti und Roma über deutschen Alltagsantiziganismus und vom Ukraine-Krieg bedrohte Genozid-Überlebende am Sonntag, den 10. April 2022 um 11 Uhr in der Evangelischen Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau.

Am 8. April 1971 fand der erste Welt-Roma-Kongress statt. Seit 1990 wird der 8. April als Internationaler Roma-Tag begangen, auch von Sinti und Roma in Deutschland. In diesem Jahr lädt die Evangelische Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau erstmals zum Welt-Roma-Tag zu einem thematischen Gottesdienst und einem Podiumsgespräch ein.

Die Kirche steht an einem Ort, der für die Sinti und Roma von großer Bedeutung ist. Als Gedenkort für die mehr als 2.300 Angehörigen der Minderheit, die vom NS-Regime ins KZ Dachau verschleppt worden sind. Aber auch als Ort, an dem Geistliche, die im KZ interniert waren, dem „Rassenforscher“ Robert Ritter für seine antiziganistischen „Gutachten“ zuarbeiten mussten, auf deren Grundlage oft die Deportation in Vernichtungslager erfolgte. Gegen den Weitergebrauch dieser „Gutachten“ durch die Polizei nach 1945 und für die staatliche Anerkennung des NS-Völkermords an der Minderheit traten im April 1980 elf Sinti, unter ihnen KZ-Überlebende und als Sprecher Romani Rose, sowie die Münchner Sozialarbeiterin Uta Horstmann in der KZ-Gedenkstätte Dachau in den Hungerstreik. Die Versöhnungskirche stellte ihre Räume als Quartier zur Verfügung. 1993 suchten zahlreiche von der Abschiebung bedrohte Roma aus Südosteuropa über Wochen Zuflucht in der Versöhnungskirche.

Den ökumenischen Gottesdienst gestalten Pastoralreferentin Judith Einsiedel und Kirchenrat Dr. Björn Mensing, in der Erzdiözese München und Freising bzw. in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern für die Gedenkstättenarbeit verantwortlich. Im Mittelpunkt stehen dabei Kurzbiographien von Sinti und Roma, die in der NS-Zeit und danach verfolgt wurden, unter ihnen mit Rudolf Endress und Jakob Bamberger zwei Häftlinge des Konzentrationslagers Dachau. Rudolf Endress (1912-1981) stammte aus der kinderreichen österreichischen Sinti-Familie Endress. Die meisten Familienmitglieder wurden in der NS-Zeit ermordet. Auch zwei Brüder von ihm litten im KZ Dachau und wurden in anderen Lagern ermordet. Rudolf Endress lebte nach seiner Befreiung wieder in Österreich, wo er erst 1979 eine Entschädigungszahlung erhielt. Sein Neffe Alfred Ullrich lebt heute als Künstler in Dachau und ist als Ehrengast anwesend. Jakob Bamberger (1913-1989) stammte aus Ostpreußen. Der erfolgreiche Boxer gehörte 1936 zum deutschen Olympiateam, aus dem er als Sinto ausgeschlossen wurde. Ein Großteil seiner Familie wurde später in Auschwitz ermordet. Die KZ-Haft in Dachau hatte für Jakob Bamberger schwere gesundheitliche Schäden zur Folge. Dennoch musste er jahrelang für die Anerkennung des erlittenen Unrechts kämpfen, weil er von den Behörden zunächst nicht als NS-Opfer anerkannt wurde. Jakob Bamberger war einer der ersten, die sich in der Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma engagierten. Er beteiligte sich 1980 am Hungerstreik in der KZ-Gedenkstätte Dachau und war in seinen letzten Lebensjahren Ehrenvorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma. Es wird auch an Mercedes Kierpacz erinnert, deutsche Romni mit polnischen Wurzeln und Mutter von zwei Kindern, die im Februar 2020 in Hanau beim rechtsextremen Terroranschlag des Rassisten Tobias Rathjen im Alter von 35 Jahren ermordet wurde. Die Kollekte wird für die Ukraine-Nothilfe des Maximilian-Kolbe-Werkes gesammelt, das dort auch Überlebende des NS-Genozids an den Roma und ihre Familien unterstützt.

Im Anschluss an den Gottesdienst gibt es ein Podiumsgespräch. Uta Horstmann, die nach 42 Jahren an den Ort des Hungerstreiks zurückkehrt, berichtet, wie sie als junge Sozialarbeiterin dazu kam, sich dem Hungerstreik anzuschließen. Der Sinto Erich Schneeberger, Stellvertreter von Romani Rose (Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma) und Vorsitzender des bayerischen
Landesverbandes, berichtet über die Bürgerrechtsarbeit in Bayern. Radoslav Ganev vom Münchner Verein RomAnity, selbst Rom aus Bulgarien, steht für die junge Generation der Aktivisten. Neben RomAnity hat er in den letzten Jahren mit anderen auch den Studierendenverband der Sinti und Roma in Deutschland (SVSRD) gegründet. Alfred Ullrich fühlt sich als „Außenseiter unter Außenseitern“, weil er durch seinen Vater, der nicht zur Minderheit gehörte, nirgends ganz dazugehört. Er ist ein wacher Beobachter und hinterfragt subtil-humorvoll althergebrachte Sicht- und Verhaltensweisen. Vor allem in Sprache und Bildern findet er oft eine unbedachte Diskriminierung. Im Jahre 2006 prangerte er in der Ausstellung TRANSIDENTIES den unwürdigen Zustand der öffentlichen Toiletten am damaligen „Landfahrerplatz“ unweit der Dachauer Würmmühle an. Die Toiletten verschwanden über Nacht, zurück blieb ein Dixi-Klo. Fünf Jahre später verschwand dann auf sein Betreiben auch das Schild mit der Aufschrift „Landfahrerplatz kein Gewerbe“. Der Begriff „Landfahrer“ wurde nach 1945 als Synonym für Zigeuner benutzt. Sinti und Roma lehnen beide Begriffe als diskriminierend ab.

Kirchenrat Mensing moderiert das Podiumsgespräch. Es geht dabei auch um die aktuelle Situation der ukrainischen Roma. Viele von ihnen erleben auf der Flucht vor Putins Angriffskrieg erneut antiziganistische Diskriminierung, auch in Deutschland.

Zur musikalischen Gestaltung kommt das Sinti Jazz Trio: Bobby Guttenberger (Gitarre), Elias Prinz (Gitarre) und Ida Koch (Kontrabass). Bobby Guttenbergers Großmutter Martha Guttenberger wurde als Sintiza in die Konzentrationslager Auschwitz, Ravensbrück und Buchenwald verschleppt.

Als Gäste haben bereits zugesagt: Gabriele Triebel (Bündnis 90/Die Grünen), Mitglied im Bildungsausschuss des Bayerischen Landtags und Fraktionssprecherin für Erinnerungskultur. Bernhard Seidenath (CSU), Landtagsabgeordneter für den Stimmkreis Dachau. Josef Mederer (CSU), Bezirkstagspräsident von Oberbayern. Anton Biebl, Kulturreferent der Landeshauptstadt München. Marianne Klaffki (SPD), Vizelandrätin des Landkreises Dachau. Luise Krispenz, dritte Bürgermeisterin, und Richard Seidl, Zeitgeschichtsreferent der Stadt Dachau (beide Bündnis 90/Die Grünen).

Sie erreichen die Versöhnungskirche über den Haupteingang der KZ-Gedenkstätte (am Besucherzentrum, Pater-Roth-Straße, MVV-Bushaltestelle KZ-Gedenkstätte) und auch mit kürzerem Fußweg über den Hof des Klosters Karmel (Alte Römerstraße 91, Gäste der Versöhnungskirche dürfen den Kloster-Parkplatz nutzen).

Menschen mit Mobilitätseinschränkungen, die Unterstützung beim Zugang benötigen, melden sich bitte im Vorfeld beim Büro der Versöhnungskirche unter Tel. 08131/13644.

Für den Zugang zur Versöhnungskirche gelten die Regeln für den Besuch der KZ-Gedenkstätte Dachau: FFP2-Maskenpflicht in Innenräumen. Die Versöhnungskirche bittet die Gäste wegen der immer noch hohen Inzidenz freiwillig die 3G-Regel zu erfüllen (geimpft oder genesen oder getestet).

Hinweis: Am 8. April 2022, 19 Uhr, findet in München eine Veranstaltung zum Welt-Roma-Tag statt, bei der Filmporträts eines Projekts von RomAnity über Sinti und Roma präsentiert werden. https://bellevuedimonaco.de/veranstaltung/welt-roma-tag-2022/

Kirchenrat Dr. Björn Mensing,
Pfarrer und Historiker
Landeskirchlicher Beauftragter für evangelische Gedenkstättenarbeit
Evangelische Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau
Alte Römerstraße 87
85221 Dachau
Tel. 08131/272601
bjoern.mensing@elkb.de
www.versoehnungskirche-dachau.de